Beitrag von Schwester Petra Stelzner

Schwester Petra Stelzner ist Schwester der hl. Maria Magdalena Postel (SMMP).
Seit mehr fast 20 Jahren war sie als Dozentin der beiden deutschen Ausbildungsvereine der Montessori-Pädagogik: Montessori Vereinigung Aachen (MV) und Deutsche Montessori Gesellschaft (DMG) tätig. Drei Jahre lang war sie Geschäftsführerin der Aktionsgemeinschaft deutscher Montessori Vereine (ADMV).

Vier Jahre lang war sie Schulleiterin des Placida Viel Berufkollegs in Menden. Neben der pädagogischen Leitung war sie mitverantwortlich für die strategischen und finanziellen Entscheidungsbereiche der Schule. Seit 2005 ist Schwester Petra als freie Montessori-Trainerin und Supervisorin in Berlin tätig. 2007 gründete sie das “Montessori Seminar Berlin”, ein Aus-und Weiterbildungsinstitut für die Vermittlung der Montessori Pädagogik für Eltern, Lehrer und Erzieher, aber auch für Kinder, die einen individuellen Einstieg in die Montessori Pädagogik suchen.

Sr. Petra ist als Lehrbeauftragte an der Katholischen Fachhochschule für Sozialwesen Berlin tätig gewesen. In diesem Zusammenhang arbeitete sie an der Umsetzung der Montessori-Pädagogik für den Bereich der Seniorenhilfe. Mit Hilfe ihrer Studenten erstellte sie eine Studie über die Auswirkungen der MiA Materialien auf die Lebensqualität von Menschen in Senioreneinrichtungen. Diese Untersuchungen mündeten in die Entwicklung der Betreuungsmaterialien “Montessori im Alter” (MiA).

2008 übernahm Sr. Petra Stelzner die Leitung der Montessori Manufactur in Berlin.

Seit 2021 ist Sr. Petra Pädagogische Mitarbeiterin und Lehrerin an der Beruflichen Schule der FAWZ gGmbH und unterrichtet zukünftige Erzieherinnen und Erzieher.

Montessori Pädagogik und Digitalisierung – Chance oder Fluch?

Montessori-Pädagogik ist vor fast genau 150 Jahren als eine Antwort auf das sog. „Bücherwissen“ des ausgehenden 19. Jahrhunderts entstanden. Sie ist eine Antwort im bunten Strauß der reformpädagogischen Modelle. Maria Montessoris Blick auf das Kind war dabei in besonderer Weise auf die Bedürfnisse des Kindes gerichtet, eine Sichtweise, die sie sich bis ins hohe Alter bewahrt hat.

Im Gegensatz zu anderen Ansätzen, z.B. von Piaget, hat sie ihre Materialen nicht am „grünen Tisch“ entwickelt, sondern sich von den täglichen Notwendigkeiten in der Umgebung der Kinder inspirieren lassen. Daraus hat sie ihre Materialideen entwickelt; die Kinder haben diese „geprüft“ und Anregungen für Weiterentwicklungen gegeben. So ist im Laufe der Jahre eine „vorbereitete Umgebung“ entstanden, die sich für die Einführung in die Kulturtechniken wie Lesen, Schreiben und Mathematik und für die Entwicklung der kindlichen Persönlichkeit bis heute bewährt hat.

Seit den achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts hat sich nun ein neues, technisches Medium entwickelt, das Maria Montessori nicht bekannt war: die Digitalisierung von Daten, der Macht von 0 und 1. Viele von uns sind mehr oder weniger schnell in diese virtuelle Welt hineingewachsen und haben ihre Möglichkeiten, aber auch ihre Grenzen und Gefahren kennengelernt. Und wie bei allen tiefgreifenden Veränderungen, denen wir als Menschheit insgesamt ausgesetzt sind, stellt sich uns 2021 nicht wirklich die Frage, ob wir neue Medien nutzen, sondern vielmehr wie wir dies sinnvoll tun sollen und können?

Vielleicht werden Sie einwenden: Doch, genau um dieses „Ob“ geht es uns! Und vor allem im Kontext eines pädagogischen Handelns an einer Montessori-Grundschule.

Gerne wird dann die Frage gestellt: „Was hätte Maria Montessori getan?“ Da wir sie nicht mehr fragen können, ist diese Frage in meinen Augen müßig. Aber wir können uns die Frage stellen: Was sind die eigentlichen Ziele der Montessori Pädagogik? Und uns dann fragen, ob digitale Medien für diese Ziele ein adäquates Hilfsmittel sein können.

Ziele

Oberstes Ziel der von Maria Montessori entwickelten Pädagogik ist es, dem Kind zu helfen, seine Persönlichkeit mit ihren Möglichkeiten und Grenzen kennenzulernen und im Laufe der kindlichen Entwicklung zu entfalten.

Darum ist die Frage des Kindes, die es an sich selbst richtet: „Was will ich jetzt tun?“ die grundlegende Basis der Persönlichkeitsbildung. Entsprechend seinem Entwicklungsalter braucht das Kind einen konkreten Kontext, einen Raum an Möglichkeiten, der nicht sofort die Welt mit ihren unendlichen Möglichkeiten ist, sondern sich an den entwicklungspsychologischen Bedürfnissen des Kindes orientiert. Diese Bedürfnisse sind in verschiedenen Lebensaltern unterschiedlich. An ihnen orientiert Montessori ihre Materialien.

Material

Bei einem ersten Blick auf das Material stellen wir fest, dass viele davon aus Holz oder Metall gearbeitet sind. Einige sind im Laufe der Zeit auch in Kunststoff oder, z.B. bei den Übungen des täglichen Lebens, aus Glas oder Stein hergestellt. Dies könnte den Schluss nahelegen, dass in der Montessori-Pädagogik den naturbelassenen Materialien der Vorrang gegeben wird. Dies ist ein Trugschluss. Montessori hat sich sowohl bei den Materialien wie auch bei der Farbgebung von praktischen (Haltbarkeit) und ästhetischen Aspekten leiten lassen. Kulturkritische Absichten lagen ihr fern. So hat sie z.B. in einer späteren Auflage ihres Buches „Die Schule des Kindes“, das zuerst 1916 veröffentlich wurde, bei der Farbgebung der Perlen vermerkt: „Da nach dem Krieg keine braunen Perlen zu bekommen sind, können auch dunkelblaue genommen werden“ (SdK, engl. Ausgabe von 1921). Material und Farbe waren immer dem zu vermittelnden Zweck und den gegebenen Möglichkeiten untergeordnet.

Digitale Medien

Welchen Stellenwert haben nun digitale Medien? Sind sie Segen oder vielleicht doch Fluch?

Wir stellen fest:

  • für unsere Kinder sind die „neuen Medien“ oft nicht mehr so neu wie für uns; sie gehören zu der Generation, die in das digitale Zeitalter hineingeboren wurden;
  • wie bei fast allen neuen Entwicklungen geht es in entscheidender Weise um die Möglichkeiten des Umgangs mit ihnen. Hier entscheidet sich, ob sie nützlich und zielführend oder ablenkend und schädigend sind; daher trägt die Vorbereitung des Erwachsenen wesentlich zum Gelingen einer guten digitalen Montessoriarbeit bei.
  • PC´s und Tablets sind in erster Linie Hilfsmittel, die Kinder beim Erlernen der Kulturtechniken unterstützen können und sollen; das gesamte Spektrum der digitalen Möglichkeiten geht aber weit darüber hinaus. Fast alle Bereiche unseres täglichen Lebens sind davon durchdrungen. Und darum ist es für die heutige Erziehung eine Notwendigkeit, gemeinsam mit den Kindern die Möglichkeiten und Grenzen dieser digitalen Welt als Teil unserer Kulturwelt zu erkunden und zum Guten nutzen zu lernen! Ein Selfie meines selbstzubereiteten Mittagessens in sozialen Netzwerken zu teilen wird und soll dabei nie eine gemeinsame Mahlzeit ersetzen, aber so wie ich früher ein Stillleben von einem gedeckten Tisch gemalt oder in einem Brief davon erzählt habe, so kann dieses Foto heute ein Element der Kommunikation zwischen uns sein. Durch die digitale Nachbearbeitung kann ich es noch mit einer emotionalen Komponente versehen und ein Emoji sagt manchmal mehr als tausend Worte…

Die Frage nach Sinn oder Unsinn im Umgang mit digitalen Medien richtet sich daher mehr an uns als an unsere Kinder. Wir müssen

  • die kindlichen Entwicklungsstufen berücksichtigen
  • das Leben in der realen Welt faszinierend und lebenswert erfahrbar machen
  • keine Angst vor den Abgründen der digitalen Welt haben, aber gemeinsam lernen, wie ich mich dabei verhalten soll.

In den Händen von Montessorianern, die verstehen, dass ihr Bildungsziel nicht die bloße Übermittlung einer größeren Menge an Informationen ist, sondern die Kultivierung der Persönlichkeit selbst, kann die digitale Technologie für die vorbereitete Umgebung bei Montessori auch im Elementarbereich dazu beitragen, unseren Kindern „die ganze Welt zu geben“.

Und lassen wir uns vielleicht das eine oder andere Mal von unseren Kindern an der Hand nehmen, wenn sie uns helfen wollen, mit dem Tablet oder Handy es „selbst zu tun“.

Sr. Petra Stelzner

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